Über JJ

Texte über JJ

2018

„Insekten, als Ganzes oder in Teilen, tendenziell tausendfach vergrößert. man könnte meinen, der Darmstädter Kunstpunkt sei zum Vorposten des Landesmuseums geworden, wo derzeit Levon Biss’ Riesenaufnahmen von Kerbtieren das Publikum zu Staunen bringt. Oder ist der „KUNSTPUNKT“ nicht eher selbst ein Gegenpol zur Museumsschau?
Denn Juliana Jaeger hat es mit einer anderen Art Staunen. Ihre Jahre zurückgehende Faszination am Thema Insekt äußert sich in Werken an der Wand, die halb bildhaft, halb plastisch durchweg von Hand gearbeitet sind. Von Hochglanz keine Spur, stattdessen einfachste Materialien, oft Pappmaché, mit Arte-Povera-Anmutung.
Wenn darunter mal etwas stofflich Raffiniertes ist, dann als Flohmarkt-Fundstück, das dem Betrachter im neuen Kontext eine neue Sichtweise abfordert. Juliana Jaeger sagt: Ich möchte die Entwicklung einer künstlerischen Idee, in ihren Haupt- und Seitenwegen vorführen und damit zeigen, was alles anregen, bereichern und in Verbindung gebracht werden kann.“
Ursprünglich von der Malerei herkommend, haben im Schaffen der 1947 geborenen Künstlerin zunehmend wechselnde Konzepte die Regie übernommen – jedes realisiert als separate Werkgruppe. Die jetzt gezeigte ist überschrieben: „I M A G O – Übersetzungen aus dem Insektischen“. Wobei Imago nicht nur lateinisch für „Bild“ oder „Metapher“ ist. De Insektenkundler versteht darunter das geschlechtsreife, „erwachsene“ Tier, welches das Larven- und Puppenstadium hinter sich hat.
In Jaegers Objekten und Bildern freilich stecken Verweise auf sämtliche Stadien der Metamorphose. In einer Ecke hängen drei, vier hohle, bräunliche, offenbar aus alten Filtern verleimte Gebilde, die an aufgesprengte Kokons erinnern. Ein am Bambus-Querstab von der Decke baumelndes weißes Papierkleid, liebevoll gefältelt, lässt an Jungfernflug und Hochzeit der Insektenköniginnen denken. Auf den ersten Blick informell-verspielt wirkende Malereien, wimmelnd von weißen Pünktchen auf dunklem Grund, lassen sich gut auch als Insekten in Schwarmkonstellation oder auf Wanderroute lesen. Der Betrachter erlebt ständig Überraschungen von Material, Abmessungen oder Motiv. Juliana Jaegers Konzept ruht indes auf einem zweiten, tieferen. Einer Metamorphose gleicht auch der Grad, in dem sich ihre Übersetzungen vom Naturvorbild entfernen. Das fängt an mit einem Supraportenbild, so brav detaill treu gepinselt, dass man es mit einer Schul-Schautafel verwechselt, zwölf Arten Schmetterlinge und Falter aufreihend, sodann eine Abfolge von Blättern, auf denen in erdtonigen Tuschen gezeichnete, eher unpopuläre Insekten wie Floh, Stechmücke, Bremse und handschriftlicher Kommentar ineinandergreifen. „Es muss uns endlich bewusst werden, dass all diese kleinen Lebewesen, die wir je nach Situation als lästig oder als schön empfinden, viele Aufgaben auf unserem Planeten erfüllen“, sagt die Künstlerin.
Am anderen Ende des gestalterischen geistigen Spektrums der Schau warten Wandarbeiten, abgeleitet vom farblich irisierenden Flügelpaar, wie zum Verschlingen weit aufgerissenem Schlund, die in ihrer anatomischen Vereinzelung noch zum Rätsel-Gegenstand werden. Und zugleich zur autonomen, ästhetisch fesselnden Skulptur“.
(Autor: Dr. Roland Held, Kunsthistoriker)